Die ersten 20 Jahre im Beruf. Ein Ateliergespräch mit Olaf Leu am Donnerstag, 25. November 2010 um 20:00 Uhr im Atelier von Wolfgang Beinert in der Görlitzer Straße 51 in 10997 Berlin.
KURZ VORWEG
Während ich anfing diese Zeilen zu schreiben, überlegte ich hin und her, wann und wo ich das erste Mal mit dem Grandseigneur des deutschen Grafikdesigns in Berührung kam. Wann habe ich eigentlich das erste Mal den Namen Olaf Leu bewusst wahrgenommen? Nach einigen Hin- und Herüberlegungen dämmerte es mir: Es muss bereits in meiner Augsburger Anfängerzeit gewesen sein; also von 1990 bis 1994. War da nicht etwas mit einem Designpreis? War er nicht einer der Juroren? Ich ging also ins Lager und suchte die Umzugskiste mit den Urkunden. Bingo! Nach einigem Gewühle und staubigen Händen fand ich das, wonach ich suchte: Meine erste Urkunde für einen Designpreis überhaupt. Und wer war der Vorsitzende der Jury?: Olaf Leu!

Zwölf Jahre später, im Februar 2006, bekam ich dann einen mit Schreibmaschine getippten, sehr persönlichen Brief von Olaf Leu, worin er meiner Kritik Goodby Microbrain City! an der Münchner Designszene vehement zustimmte. Seit dem hielten wir Kontakt. Und auf Anraten unserer gemeinsamen Freundin Annette Häfelinger (häfelinger + wagner design, München), lernten wir uns dann im August 2009 erstmals persönlich kennen. Prof. Olaf Leu besuchte mich einfach mit seiner bezaubernden Schwester. Ein Ateliergespräch mit ihm war somit nur noch eine Frage der Zeit …
ZUM THEMA
In der ersten Zeile des Prologs zu seiner Biographie »Bilanz 1951-1970« stellt sich Olaf Leu selbst gleich eine wichtige Frage: »Warum breite ich mein berufliches Leben vor einer Öffentlichkeit, wenn auch nur einer kleinen, so detailreich aus?
Nun, Olaf Leu wird uns am 25. November die Antwort auf diese Frage wohl höchstpersönlich geben. Ich zumindest bin sehr froh, dass er vom »Glück der Selbstvergessenheit« ausgiebig und detailliert Gebrauch gemacht hat. Denn ich persönlich glaube ja, wer die Vergangenheit kennt, der versteht die Gegenwart besser. Oder mit Wilhelm von Humboldts Worten: »Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft!« Und so sind wir schon beim wesentlichen Aspekt dieses Ateliergesprächs: Dieser Abend könnte eine Art Nürnberger Trichter, besonders für jüngere, wissbegierige Kolleginnen und Kollegen werden; eine einmalige Gelegenheit, einem wichtigen Zeitzeugen die richtigen Fragen zu stellen. Fragen, die im Zeitalter von Twitter, Facebook & Co. nur noch sehr wenige beantworten können. Dieser Abend wird eine Okkasion sein, einen der letzten Grandseigneurs des deutschen Grafikdesigns, einen der ersten deutschen »Art Directors«, einen der ersten »Freelancer« persönlich kennenzulernen.
Und für die älteren Kolleginnen und Kollegen, insbesondere für diejenigen, deren Betrachtungsweisen von der HFG Ulm oder durch die traditionelle Typographie geprägt wurden, für sie könnte es letztendlich nochmals ein günstiger Augenblick sein, alte Kontroversen über das »Graphic Design« versus »visuelle Gestaltung« für einen Moment wieder aufflammen zu lassen.

ZU OLAF LEU
(…) In den Fünfziger und noch in den beginnenden Sechzigerjahren war es möglich, an der Bildung von ganz neuen Berufseliten beteiligt zu sein. Der gelernte Schriftsetzer und spätere Grafikdesigner und Art Director Olaf Leu avancierte in dieser Zeit sehr schnell zum vielfach ausgezeichneten und anerkannten Grafikdesigner, der einer im Wiederaufbau befindlichen deutschen Wirtschaft nachhaltig wirksame gestalterische Impulse vermittelte.
Olaf Leu war einer der ersten Kreativen, der im aufstrebenden Westdeutschland die Vorbilder der »Neuen Amerikanischen Schule« auf deutsche Unternehmen übertrug. So war es fast selbstverständlich, dass mit ihm die neue Institution »Freelance Creative Design Direction« in der jungen Bundesrepublik entstand. Eine Positionierung, die sich aus seinen Verbindungen zu amerikanischen Designorganisationen wie dem International Center for Typographic Arts, dem Type Directors und dem Art Directors Club of New York entwickelte.
Er erkannte, dass der freiberufliche Grafikdesigner weit mehr fachliche Potenziale anbieten und abrufen muss, als das bis dato üblich war. Er übernahm ganzheitliche, kreative Kommunikationsaufgaben, die die Mitverantwortung für ein substanzielles Briefing umfassten, sowie die Entwicklung kommunikativer Strategien bis zum Gestaltungskonzept – mit deutlicher Formulierung der Inhalte und deren Umsetzung. Auch der mediale Einsatz und die Effizienzbewertung flossen in die konzeptionellen Überlegungen ein.
Dies war eine professionelle Vorgehensweise, wie sie in jenen Jahren nur selten im klassischen Grafikdesign anzutreffen war. Das dafür erforderliche Kreativteam wurde je nach Umfang der Aufgabe von Olaf Leu organisiert und koordiniert. Dass derartig neue Arbeitsmethoden nicht immer auf wohlwollende Zustimmung in Kollegenkreisen trafen, erklärt sich von selbst.
Die Erfolge vieler in nationalen und internationalen Wettbewerben ausgezeichneter Arbeiten haben die Richtigkeit dieser praxisgerechten Arbeitsmethode jedoch immer wieder bestätigt. In seiner langjährigen, national und international ausgeübten Lehrtätigkeit konnte Professor Leu sein Wissen und seine Erfahrungen im Kommunikationsdesign an mehrere Studentengenerationen weitergeben. Seine vielfältigen Kontakte zu einflussreichen Entscheiderkreisen in der in- und ausländischen Wirtschaft hatten starken Einfluss und positive Auswirkungen auf zahlreiche praxisnahe Projekt- und weiterführende Diplomarbeiten.
Das Fachmagazin Deutscher Drucker kommentierte 2006: »Olaf Leu hat sich um das Grafikdesign innerhalb der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in deutschen Landen verdient gemacht.« (…) aus dem Flyer des DDCs.
Wolfgang Beinert
Everything good is fragile … Save it!
Berlin, 6.10.2010
RESÜMEE
Werdet bloß keine Grafikdesigner!
So lange habe ich noch nie für eine Nachlese gebraucht. Nicht nur ungewöhnlich viel Arbeit und ein dummer Unfall im Dezember hielten mich davon ab, sondern ich musste über dieses Ateliergespräch auch etwas länger sinnieren. Schon mal vorab: Das Feedback war grundsätzlich positiv. Jeden den ich fragte, fand die Lesung selbst gelungen; die Mehrheit empfand den Abend als unterhaltsam und informativ.
Und ich? Wie empfand ich das Ateliergespräch mit Olaf Leu? Die Lesung fand ich prima. Was das anschließende Gespräch betrifft, nun ja, ich verbrachte vor dem Ateliergespräch fast den ganzen Nachmittag damit, einer jungen Kollegin ihre berufliche Zukunftsangst zu nehmen. Stundenlang redete ich mit der Fotografin über ihre Chancen und Möglichkeiten. Ab 21:20 Uhr torpedierte dann Olaf Leu mit seinen orakelhaften Diagnosen und Theorien mein Engagement bei der Dame. Ich fragte mich, was wohl Olafs Worte – und Olaf Leu ist ja nicht irgendwer – bei jungen Kollegen/innen bewirken, bei der eh etwas zaghaften Generation 30, die gerade erst am Anfang ihrer Berufskarriere steht? Oder bei Studenten, die gerade voller Eifer Kommunikationsdesign oder ähnliches studieren?
Bei dem halben Dutzend Studierenden der HfK Bremen, die mit ihrem Lehrer an diesem Abend 800 Kilometer fuhren, um in Berlin einem der prominenten Grafiker seiner Zeit zuzuhören? Ich möchte es so formulieren: Olaf Leus ertragsarme und pauschale Gegenwarts- und Zukunftsdeutung haben mich etwas verblüfft.
Und wie ich an den Diskussionsbeiträgen bemerkte, nicht nur mich. Meine (junge) Kollegin Katharina Pätzold (Pätzold/Martini, Büro für Visuelle Kommunikation, Berlin) brachte es vielleicht auf den Punkt: »… vielen Dank für das letzte Ateliergespräch (…) es hat großen Spass gemacht, dem Herrn Leu zuzuhören (…) Werd´bloß kein Grafikdesigner, nun, schön, dass die kluge Antwort von der Dame (A.d.R.: Gesine Gold, Hamburg) mit den starken Augenbraunen kam und Sie (A.d.R.: Wolfgang Beinert, Berlin) ebenfalls eine positive Einstellung zum Wandel der Zeit haben. Man kann nicht am Alten festhalten, alles war anders, und wird anders. Das Bewegende ist ja mit das Schöne am Leben …«.
Ist denn heute im Kommunikationsdesign wirklich alles so düster und hoffnungslos, wie Olaf Leu skizziert? Sind die Rahmenbedingungen für freiberufliche Grafikdesigner heute so viel schwieriger geworden? Warum sollte es diesen Beruf in einem halben Jahrzehnt nicht mehr geben? Und ist das Verhalten der Auftraggeber gegenüber freischaffenden Kreativen wirklich so unerträglich und inkorrekt geworden? War früher alles besser?
Vermutlich nicht. Denn es wurde noch nie so viel visuell kommuniziert wie heute; Tendenz stark steigend. Und nicht nur über iPad & Co., sondern auch per Druckmaschine. Ich verweise diesbezüglich nur auf die letzte Frankfurter Buchmesse. Noch nie gab es so viele Neuerscheinungen wie im Jahr 2010. Natürlich sinken die Auflagen, aber was tangiert uns das als Kommunikationsdesigner? Kann es uns nicht egal sein, ob 25.000 oder 5.000 Geschäftsberichte gedruckt werden? Oder ob ein Geschäftsbericht nur noch als Download bereit steht?
Bleiben unsere materiellen und immateriellen Ressourcen dafür nicht konvergent? Auch was meine Auftraggeber anbetrifft, habe ich in den letzten zwei Jahrzehnten sehr selten schlechte Erfahrungen gemacht. Im Gegenteil: Ich wurde überwiegend fair, respektvoll und großzüg von ihnen behandelt und vergütet. Ich glaube, der Wandel war und ist das einzig Beständige in unserem Leben. Und apropos Auftraggeber: »Wer sich zum Wurm macht, soll nicht klagen, wenn er mit Füßen getreten wird«. Diese Binsenweisheit von Immanuel Kant gilt natürlich auch für Kommunikationsdesigner – gestern wie heute …











Olaf Leu: »Werdet bloß keine Grafikdesigner! Ich will Ihnen auch sagen warum: Der Beruf wird sich in den nächsten fünf Jahren entscheidend ändern. Kommunikationsdesign wird es so nicht mehr geben, denn die digitalen Medien werden bei der neuen Generation einen großen Anteil haben. Wundern Sie sich nicht, was auf dem neuen iPad schon gelesen wird! Im Kommunikationsdesign wird es große Umstellungen geben. All die Webleute und ihre Spezialisten haben da schon die Nase vorne. Ich weiß nur eins, der Print wird massiv zurückgehen.«





Wolfgang Beinert stellte daraufhin die letzte Frage: »Olaf, Sie müssen eine Frage noch beantworten. Warum haben Sie eigentlich Ihre Biographie geschrieben?« Olaf Leu: »Erstens. Um mich zu beschäftigen. Und zweitens. Um jungen Leuten zu erzählen, wie alles entstanden ist. Das heißt, ich hatte ein sogenanntes Mitteilungsbedürfnis (schmunzelt), mich hatte ja schon immer ein missionarischer Eifer ausgezeichnet (lacht) …«


Zum Schluss noch herzlichen Dank an Olaf Leu für seine Mühen und seine Zeit. Und natürlich ein Merci an meine Gäste, die wieder ins wilde und dunkle Kreuzberg fanden.
Wolfgang Beinert
Everything good is fragile … Save it!
Berlin, 7. Februar 2011
Weiterführende Informationen
Olaf Leu: Bilanz 1951-1970 Die ersten 20 Jahre im Beruf Distribution: Deutscher Designer Club, Große Fischerstrasse 7 60311 Frankfurt am Main.